Samstag, 23. Juli 2011

Die Relativität der Zeit- und Raumrelationen

(geändert am 26. August 2011)

Ungeachtet der ausführlichen Definitionsbemühungen Einsteins (Zeit entspricht dem Uhrenstand, Zeit und Gleichzeitigkeit sind durch die Synchronisierung von Uhren zu definieren), dürfte unbestritten sein, dass unter "Zeit" in der Relativitätstheorie grundsätzlich die Zeitrelationen zu verstehen sind, das heißt die Abstände in der Aufeinanderfolge von Veränderungen bzw. Ereignissen. Dass Einstein dabei mit "Zeit" auch Zeitpunkte bezeichnet, ändert nichts an der grundsätzlich relationistischen Zeitauffassung, die Einstein von Ernst Mach übernimmt.

Die Zeitrelationen, also die Zeitspannen zwischen Ereignissen, sind ebenso wie die Raumrelationen Länge, Breite und Höhe (zum Beispiel die Abmessungen eines Hauses), feste Größen und als solche nicht relativ. Einsteins Theorie der relativen Zeit von 1905 beschreibt jedoch nicht die naturgegebenen, wirklichen Zeitrelationen, sondern ausschließlich die Sinneseindrücke, durch welche die Beobachter von den Zeitrelationen erfahren. Die Sinneseindrücke werden aber beeinflusst durch die Lichtlaufzeit, wodurch die Zeitrelationen zwangsläufig relativ erscheinen. Ein bestimmtes Ereignis, zum Beispiel ein Lichtblitz, wird von unterschiedlich weit entfernten Beobachtern zu unterschiedlichen Zeitpunkten wahrgenommen.  Aus diesem Grund ist Gleichzeitigkeit nach Einsteins Logik relativ. In der Relativitätstheorie geht es zwar um bewegte Systeme, aber auch hier gilt dieselbe Logik, zum Beispiel in den auch aus der Populärliteratur bekannten Eisenbahn-Gedankenexperimenten. Am Zuganfang und am Zugende sollen auf den Schienen gleichzeitig (!)  Lichtblitze gezündet werden. (Einstein setzt die absolute Gleichzeitigkeit voraus, obwohl es sie nach seiner Theorie gar nicht gibt!). Der in der Mitte des Zuges fahrende Beobachter sieht die Blitze nicht gleichzeitig, weil er sich auf die vordere Lichtquelle zu bewegt und sich von der anderen Lichtquelle weg bewegt. Daher sei Gleichzeitigkeit relativ (vgl. z. B. Mittelstaedt, Der Zeitbegriff in der Physik, 1976, Seite 85 ff.). Und das, obwohl der Effekt lediglich durch die unterschiedlichen Lichtlaufzeiten zwischen den Lichtquellen und dem Beobachter verursacht wird.

Von relativer Gleichzeitigkeit kann man natürlich nur dann sprechen, wenn man auschließlich die Sinneswahrnehmungen der Beobachter meint. Aber die Aufgabe der Physik als Naturwissenschaft besteht darin, nicht individuelle Sinneseindrücke, sondern die Wirklichkeit zu beschreiben. Daher wird jeder vernünftige Physiker die Lichtlaufzeit in seine Überlegungen einbeziehen und zu dem Ergebnis kommen, dass hinter den relativen Sinneseindrücken in Wirklichkeit die tatsächliche Gleichzeitigkeit steht. Im übrigen setzt Einstein bei allen seinen Gedankenexperimenten ungewollt die absolute Gleichzeitigkeit voraus, wenn er z. B. davon spricht, dass "gleichzeitig" zwei Lichtblitze gezündet werden.

Aber in der Relativitätstheorie gilt die Beobachtung als einzige Wirklichkeit. Einsteins philosophische Ansichten waren nach eigenem Bekunden weitgehend durch den Physiker und Philosophen Ernst Mach bestimmt, den er als seinen eigentlichen Lehrer betrachtet. Ernst Mach lehnte nicht nur die absolute Zeit ab, sondern er vertrat auch die - wohl zutreffende -  Auffassung, dass wir die objektive Realität nicht erkennen können. Daraus zog er aber die - sicher unzutreffende -  Schlussfolgerung, dass sich die Wissenschaft auf die Beschreibung von Sinneseindrücken zu beschränken habe.  Aus diesem Grund erscheint zum Beispiel für Ernst Mach der ins Wasser getauchte Stab nicht gekrümmt, sondern er ist gekrümmt (auch wenn er metrisch gerade ist). Die Erkenntnistheorie von Ernst Mach ist in der Literatur unter der Bezeichnung "Empiriokritizismus" bekannt.

Ernst Machs Auffassung ist Ausdruck einer sensualistischen Philosophie, deren Tradition bereits Vorläufer in der griechischen Antike hat. Nach dieser Philosophie beruht unser gesamtes Wissen letztlich auf Sinneseindrücken, die Verstandesleistung spielt dabei ursprünglich keine Rolle. Aus diesem Grund ist das was wir beobachten, unsere einzige Wirklichkeit. Allerdings wusste Protagoras (ca. 480 - 421 v.Chr.) noch nichts von der Lichtlaufzeit, sondern musste glauben, dass das was wir sehen, stets der Wirklichkeit entspricht. Bestärkt wurde Ernst Mach sicher auch durch Immanuel Kants Lehre, wonach wir nur die Phänomene (Erscheinungen) erkennen, nicht aber die Dinge an sich. Allerdings muss sich Mach im Klaren darüber gewesen sein, dass die zeitliche Abweichung zwischen Beobachtung und Wirklichkeit durch die Lichtlaufzeit nicht zum Bereich der für unsere Erkenntnis unzugänglichen Dinge an sich, sondern zum Allgemeinwissen gehört.  Dies dürfte der wesentliche Grund dafür sein, warum Ernst Mach die Relativitätstheorie zeitlebens abgelehnt hat, obwohl seine Forderung nach Abschaffung der absoluten Zeit sicher ein Motiv für Einsteins Relativitätstheorie war.

Würde man in der Physik die Sinneseindrücke grundsätzlich mit der Wirklichkeit gleichsetzen - wie es Einstein mit den Zeitrelationen macht - so wären schon allein aufgrund optischer Gesetze auch die Raumrelationen relativ. Denn ein Gegenstand erscheint uns um so kleiner, je weiter er entfernt ist. Doch kein ernst zu nehmender Physiker würde behaupten, dass der Monddurchmesser in Wirklichkeit relativ ist, denn wir wissen alle, dass er eine naturgegebe feste Größe von 3476 km ist. Ebenso sind die Zeitspannen zwischen Ereignissen naturgegebene Größen, sie erscheinen nur relativ infolge unterschiedlicher Lichtlaufzeiten. Das komplizierte und schwer durchschaubare relativistische Spiel mit der Zeit findet nur Glauben, weil wir Menschen von der Zeit - im Gegensatz zu den Raumrelationen Länge, Breite und Höhe - von Natur aus keine anschauliche Vorstellung haben.

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