zuletzt ergänzt am 24. März 2021
Die relativistische Zeitdehnung wird meist anhand eines rechtwinkligen Dreiecks erklärt. Da nach Einsteins Postulaten ein Lichtstrahl in unterschiedlich bewegten Systemen stets dieselbe Geschwindigkeit haben soll, trifft der von A ausgehende Lichtstrahl in C (ruhendes System) später ein als als in B (mit der Geschwindigkeit v bewegtes System). Daraus folgert man die "Relativität der Zeit". *)
*) Fußnote: Voraussetzung für eine so weitgehende und verallgemeinerte Aussage wäre allerdings, dass die Physik eine überzeugende Vorstellung davon hätte, was Zeit ist. Davon kann jedoch keine Rede sein, siehe auch den Artikel "Die großen Rätsel der Physik". Dass das was wir von der Uhr ablesen, relativ ist, wusste schon Newton.
A
c
B....C
Allerdings neigt unser Verstand von Natur aus nicht dazu, sich zwei Bewegungsvorgänge gleichzeitig vorzustellen, in diesem Fall den Lauf des Lichtstrahls von A nach B und die gleichzeitige Bewegung des Punktes B nach C. (Hinzu kommt, dass die extrem hohe Ausbreitungsgeschwindigkeit von Licht unser Vorstellungsvermögen übersteigt). Unternimmt man trotzdem bewusst, sich die in dem statischen Dreieck ABC verborgenen Bewegungen vorzustellen, so ist das Ergebnis ein anderes als bei Einstein:
Während derselben Zeitspanne, in welcher der Lichtstrahl von A nach B läuft, wandert gleichzeitig B nach C. Sobald der Lichtstrahl in B eintrifft, befindet sich B in C. Ein und derselbe Lichtstrahl kann aber in ein und demselben Raumpunkt, auch wenn er im bewegten System mit B und im ruhenden System mit C bezeichnet wird, nicht zu unterschiedlichen Zeiten eintreffen.
Durch ein Beispiel wird die Sache anschaulicher. Das bewegte System sei ein mit der Geschwindigkeit v fahrender Eisenbahnwagen. Von der Lichtquelle A an der Wagendecke geht ein Lichtstrahl (Einstein verwendet in seinem mathematischen Szenarium einen Lichtblitz, was auf dasselbe hinausläuft) zum Punkt B am Wagenboden. B sei ein Gerät, welches Licht anzeigt, oder noch einfacher, eine chromglänzende Schraube, die beim Eintreffen des Lichtstrahls aufblitzt. Sobald B aufblitzt, ist B in C angekommen. B und C sind also identisch. B wird das Eintreffen des Lichtstrahls nur einmal anzeigen, denn es gibt nur einen Lichtstrahl und nur ein Gerät bzw. eine Schraube B. Anders gesagt, der Lichtstrahl benötigt eine bestimmte Zeitspanne, um von A nach B zu gelangen, auch wenn B sich aus Sicht des ruhenden Systems bewegt und dort den Namen C trägt. Es gibt keine zwei unterschiedlichen Zeitspannen für den Lichtweg von A nach B, denn es gibt nur eine Wirklichkeit.
Ein anderes Beispiel: Ein Licht- oder Funksignal wird von Oslo nach Rom gesandt. Warum sollte aus Sicht des Mondes das Signal in Rom später ankommen als aus Sicht der Erde? Der "Mann im Mond" ermittelt dieselbe Zeit für den Vorgang wie der Beobachter auf der Erde, obwohl sich die Erde aus Sicht des Mondes bewegt. Die Signalzeit von Oslo nach Rom bleibt dieselbe, auch wenn sich Rom aus Sicht des Mondes von B nach C bewegt. Denn B und C sind identisch, weil Rom nicht gleichzeitig an zwei unterschiedlichen Orten B und C sein kann. (Dass durch die Bewegung von B nach C die Lichtlaufzeit zwischen Rom und dem Mond anwächst, ist nach herrschender Meinung nicht Ursache der relativistischen Zeitdehnung. In diesem Fall wäre die Zeitdehnung ein leicht erklärbarer Scheineffekt und Einsteins Theorie hinfällig).
B im bewegten und C im ruhenden System fallen mathematisch auseinander, weil der senkrechte Lichtstrahl AB im anderen System schräg von A nach C läuft. Andererseits steht ohne Zweifel fest, dass es in der Realität nur einen bewegten Punkt B bzw. nur einen Lichtsensor bzw. Schraube B gibt, und auch die Stadt Rom gibt es einmal. Wie ist der Widerspruch zu erklären? Es ist der Widerspruch zwischen einer von der Realität losgelösten Mathematik und der Wirklichkeit. Bei Einstein sind die beiden Koordinatensysteme voneinander isolierte Welten, die von vornherein als unterschiedliche Zeitzonen definiert werden (obwohl es in der Natur keine Zeitzonen gibt!) und zwischen denen es keine Kommunikation gibt. Nur unter diesen Voraussetzungen ist die abwegige Idee möglich, dass ein und derselbe Lichtstrahl in ein und demselben Ort tatsächlich zu unterschiedlichen Zeiten eintrifft. Dagegen bestätigt uns eine realitätsbezogene Mathematik, dass nach dem Satz des Pythagoras für den Lichtstrahl AC die Geschwindigkeit V¯ c² + v² folgt, wenn der Lichtstrahl AB die Geschwindigkeit c hat. Folglich trifft der Lichtstrahl in B und C gleichzeitig ein. Weil in dem Dreieck der bewegte Punkt B auseinanderfällt in B und C, verlieren wir nur allzu leicht aus dem Auge, dass es in der Realität, die hinter Einsteins mathematischem Szenarium steht, nur einen Lichtstrahl und nur einen Punkt gibt, an dem der Lichtstrahl auftrifft. Dieser Punkt trägt im bewegten System die Bezeichnung B und im ruhenden System die Bezeichnung C.
Ich versuche noch einmal, den Sachverhalt zusammenzufassen:
Die reale Strecke AB hat eine bestimmte Länge. Ein von A ausgehender Lichtstrahl trifft zu einem bestimmten Zeitpunkt t in B ein. B und C fallen auseinander, weil sie denselben Punkt B in unterschiedlich bewegten Koordinatensystemen darstellen. Aber die Wirklichkeit ist eine Sache, die beliebige mathematische Strukturierung des Raumes in unterschiedliche Koordinatensysteme eine andere Sache. Wenn wir uns in B einen materiellen Gegenstand oder ein Lichtanzeigegerät vorstellen, dann sehen wir sofort, dass B und C derselbe Punkt ist. Das Ereignis, dass der Lichtstrahl in B eintrifft, findet an dem bestimmten Ort B zu dem bestimmten Zeitpunkt t statt - auch wenn B im anderen Koordinatensystem an einer anderen Stelle erscheint und deshalb mit C bezeichnet wird.
"Mathematik ist die sicherste Methode um sich selbst an der Nase herumzuführen" (Albert Einstein). Trotzdem darf man die Bedeutung der Mathematik nicht unterschätzen. Sie ist eine Grundlage unserer technischen Zivilisation. Es kommt darauf an zu unterscheiden, wo die Mathematik hilfreich ist und wo sie nur ein Vehikel für Phantasien im leeren Raum ist.