Donnerstag, 18. Mai 2017

Philosophische Argumente gegen die relative Zeit

Zuletzt ergänzt am 3. Juni 2023

Philosophieren heißt nicht, Gedankenkonstruktionen beliebig zu erfinden, auch wenn manche das naiv glauben. Philosophieren ist der Versuch, Antworten auf Fragen zu finden, die nur durch das Denken ergründet werden können. Eine solche Frage ist auch die nach dem Wesen von Raum und Zeit.

1. Allgemeines

Grundlegend für Einsteins Relativitätstheorie sind nicht nur seine physikalischen Postulate, sondern auch bestimmte philosophische Vorstellungen des 19. Jahrhunderts. Doch nach derzeit herrschender Lehre wird sie als eine rein physikalische Theorie dargestellt, die auf dem sogenannten Prinzip der konstanten Lichtgeschwindigkeit beruht. Dadurch soll die Theorie immun gegen philosophische Argumente werden. Sie steht und fällt mit dem Prinzip der konstanten Lichtgeschwindigkeit. Einsteins relativistische Definitionen von Zeit und Gleichzeitigkeit, die im ursprünglichen Text gleich nach den physikalischen Postulaten die Voraussetzungen für die Theorie bilden, werden nun als Konsequenzen aus der Theorie dargestellt. Doch ohne Einsteins Definitionen, die im Text von 1905 seiner Mathematik vorausgehen, könnte zum Beispiel das Ergebnis des Michelson-Morley-Versuchs oder andere experimentelle  "Beweise" für die Theorie niemals mit der Relativität der Zeit erklärt werden. Ohne die philosophische Voraussetzung, wonach Beobachtung und Wirklichkeit identisch sind, wäre das Nachgehen der bewegten Uhr nur ein Scheineffekt, und es gäbe kein Uhrenparadoxon und kein Zwillingsparadoxon. Zeitreisen wären wissenschaftlich indiskutabel, kurz die ganze Theorie wäre hinfällig.

(2) Der Zeitbegriff. Mit variablen Maßeinheiten wird jede Physik sinnlos.

Einsteins Auffassung von Zeit beruht auf positivistischen, subjektivistischen und sensualistischen  Vorstellungen aus dem 19. Jahrhundert. Aber die Zeit hängt weder von den Sinneseindrücken unterschiedlicher Beobachter noch vom Gang der Uhren ab.

Für die herkömmliche Philosophie in der Tradition von Immanuel Kant ist Zeit eine angeborene Verstandeskategorie, eine Ordnungsstruktur im Verstand, welche jeder wissenschaftlichen Erkenntnis vorausgeht. Sie ist wie andere "a priori" gegebene Kategorien (wie Raum, Zahl, Kausalität) Grundlage unseres Denkens und Erkennens.  Als Denkkategorie kann Zeit nicht relativ sein. Dieser Einwand wurde von anfang an gegen die Relativitätstheorie erhoben.

Dagegen konnte sich Einstein auf den von ihm als geistiges Vorbild anerkannten Physiker und Philosophen Ernst Mach berufen. Dieser vertrat wie G.W. Leibniz die relationistische Auffassung von Zeit und Raum. Danach ist Zeit eine Ordnungsstruktur in der Natur. Konkret gesagt, besteht Zeit in den Relationen der Aufeinanderfolge von Ereignissen, also in Zeitabständen. Nach dem Wissensstand von 1905, dem Entstehungsjahr der Relativitätstheorie,  war die Frage berechtigt, ob Leibniz oder Kant recht hat. Dass beide zum Teil recht haben, weil das Nacheinander der Dinge (das man auch als die zeitliche Struktur der Welt bezeichnen kann) infolge der evolutionären Entwicklung des Verstandes zu einer zeitlichen Ordnungsstruktur im Verstand führt, war damals noch nicht bekannt.  

Jedenfalls war Einstein überzeugt, den Zeitbegriff Immanuel Kants durch seine Relativitätstheorie widerlegt zu haben. In dieser Überzeugung bestärkte ihn die Anerkennung durch Physiker wie Max Planck und Max von Laue. Daran konnte auch die Kritik zahlreicher anderer Physiker und Philosophen nichts ändern. So wies zum Beispiel Oskar Kraus (Ordinarius für Philosophie an der deutschen Universität in Prag, verstorben 1942 in Oxford) in einer ausführlichen Kritik der Relativitätstheorie darauf hin, dass ohne die gedankliche Vorstellung von absoluter Zeit überhaupt keine Zeitmessung möglich ist, und er fragt nach dem Sinn einer Physik ohne feste Maßeinheiten (Offener Brief an Albert Einstein und Max von Laue, 1925).

Kennzeichnend für den Zeitbegriff der Relativitätstheorie ist nicht nur die relationistische Auffassung, sondern daneben die Gleichsetzung des Zeitverlaufs mit dem Gang von Uhren ("Zeit ist das, was wir von der Uhr ablesen"). Mit dieser Zeitdefinition knüpft Einstein an Newton an, der die mit ungenauen Uhren gemessene Zeit als relativ bezeichnet, im Gegensatz zur wahren, gleichmäßig verlaufenden absoluten Zeit. Durch die Gleichsetzung der Zeit mit dem Gang von Uhren stellt Einstein schon begrifflich von vornherein sicher, dass die absolute Zeit vom Tisch ist. Außerdem unterstützt diese Zeitdefinition das Argument, dass der langsamere Gang der bewegten Uhr mit einem langsameren Verlauf der Zeit verbunden ist.


(2) Die Gleichzeitigkeit von Ereignissen ist ein realer Sachverhalt, der nicht von Beobachtungen oder Messungen abhängt.

Absolute Zeit und absolute Gleichzeitigkeit bedingen sich gegenseitig. Wenn überall die selbe Zeit gilt, dann ist jeder Zeitpunkt im gesamten Raum der selbe. In jedem Augenblick, den ich mit "jetzt" bezeichne, geschehen gleichzeitige Ereignisse in der Welt. Diese Gewissheit ist uns angeboren. Ein Zeitpunkt ist nicht auf Teile des Raumes begrenzt, sondern gilt universell. Würde die Zeit in unterschiedlichen Teilen der Welt unterschiedlich verlaufen, so würde die Welt als Ganzes nicht gleichzeitig existieren. Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft wären nicht zu unterscheiden.

Einstein versucht die absolute Zeit von der Gleichzeitigkeit her auszuhebeln. Er demonstriert zunächst durch sein Gedankenexperiment mit dem bewegten Stab, dass bewegte Beobachter gleichzeitige Ereignisse - hier den Stand der Uhrzeiger von synchronisierten Uhren - infolge unterschiedlicher Lichtlaufzeiten nicht gleichzeitig wahrnehmen. Deshalb sei Gleichzeitigkeit relativ. (Zur Elektrodynamik bewegter Körper, § 2, Seite 895 ff., Zeitschrift Annalen der Physik 1905).  Dies entspricht den Eisenbahn-Gedankeneperimenten in späteren Veröffentlichungen, bei denen der Beobachter im fahrenden Zug zwei gleichzeitig gezündete Lichtblitze nicht gleichzeitig sieht. Einstein macht auf diese Weise die Gleichzeitigkeit zu einer Frage von Sinneseindrücken. Wenn aber Gleichzeitigkeit von Sinneseindrücken abhängt, dann ist sie zwangsläufig infolge unterschiedlicher Lichtlaufzeiten relativ. Der in § 3 folgende Rechengang, die sogenannte Herleitung der Lorentz-Transformation, zeigt lediglich das Maß der Relativität auf. Infolge unterschiedlicher Lichtlaufzeiten weichen die Sinneseindrücke des ruhenden und des bewegten Beobachters um den Lorentzfaktor voneinander ab, wenn man Einsteins Hypothese der invarianten Lichtgeschwindigkeit voraussetzt.

Selbst wenn man die philosophischen Überlegungen zur absoluten Zeit ablehnt und der Physik ihren eigenen Zeitbegriff zugesteht, wonach einzig die messbaren Zeitrelationen als Zeit zu gelten haben, so stellt sich sofort die Frage, wie die Zeitrelationen relativ sein können. Sie sind nur aus dem Grund relativ, weil die Relativitätstheorie nicht die objektiven Zeitrelationen in der Natur beschreibt.  Sie beschreibt die Zeitrelationen, wie sie  - beeinflusst durch die behauptete unterschiedliche Lichtlaufzeit zwischen zwei Punkten A und B des bewegten Systems - aufgrund von Sinneseindrücken erscheinen.

An der von Sinneseindrücken abhängig gemachten Gleichzeitigkeit wird die subjektivistische Weltsicht der Relativitätstheorie deutlich. Die subjektivistische Betrachtungsweise in Wissenschaft, Kunst und Philosophie lag um 1900 im Trend. Ob die Anfänge der Existenzphilosophie und der Psychoanalyse, ob die philosophische Methode der Phänomenologie, ob der Impressionismus in der Malerei - das Subjekt und der subjektive Blick auf die Welt standen im Vordergrund. Ein Modetrend des damaligen Zeitgeistes war auch der so genannte Machismus. Nach der Erkenntnistheorie von Ernst Mach besteht unsere einzige Wirklichkeit in den Sinneseindrücken. Doch was hat die subjektivistische Weltsicht mit Physik zu tun? Wenn Physik eine Naturwissenschaft ist, dann hat sie eine Wirklichkeit zum Gegenstand, die mehr ist als die bloße Beschreibung von Sinneseindrücken.

Tatsache ist, dass wir aufgrund unserer natürlichen menschlichen Begrenztheit die Gleichzeitigkeit von zwei Ereignissen nur innerhalb unseres Gesichtskreises ohne technische Hilfsmittel feststellen können. Das ändert jedoch  nichts daran, dass Gleichzeitigkeit ein unabhängig von jeder Beobachtung und Messung gegebener Sachverhalt ist. Physiker mögen spontan zu der Ansicht von Ernst Mach neigen, dass in der Physik nur zählt, was man beobachten und messen kann. Diese Ansicht stimmt aber bei näherem Überlegen nicht, weil die Wissenschaft mehr weiß als das, was man messen und zählen kann. Denn ein wesentliches Element jeder Wissenschaft ist das logische Denken. Aus diesem Grund unterscheidet schon Leibniz zwischen Erfahrungstatsachen und Vernunfterkenntnissen.  Zu den letzteren gehört das Wissen über die Lichtlaufzeit, durch die Zeitmessungen relativiert werden. Sind etwa Blitz und Donner, welche in unserer Wahrnehmung zeitlich nicht übereinstimmen, die einzige Wirklichkeit in der Physik? Die Physiker erklären uns, dass dahinter ein bestimmtes Ereignis zu einer bestimmten Zeit steht, nämlich eine elektrische Entladung. Womit wir bei der Erkenntnistheorie sind.


(3) Erkenntnistheorie. Ein Scheineffekt wird nicht dadurch wirklich, dass man an die Erkenntnistheorie von Ernst Mach glaubt, wonach die Beobachtung unsere einzige Wirklichkeit sei.

Ein zweiter philosophischer Aspekt der Relativitätstheorie betrifft die Erkenntnistheorie. Einstein zieht aus seiner mathematischen Herleitung der Zeitdilatation ohne weitere Begründung den Schluss, dass eine bewegte Uhr gegenüber einer ruhenden Uhr physikalisch wirklich langsamer geht. Dagegen muss man aufgrund des Rechengangs, der die von der Lichtlaufzeit abhängigen Sinneseindrücke der Beobachter beschreibt, zu dem Ergebnis kommen, dass die bewegte Uhr für den ruhenden Beobachter nur scheinbar langsamer geht. Auch die relativistische Philosophie liefert dafür keine plausible Erklärung, sondern sagt pauschal, die Folgerung Einsteins ergebe sich aus der Logik der Relativitätstheorie. Allerdings zäumt diese Aussage das Pferd von hinten auf. Denn ohne wirkliches Nachgehen der bewegten Uhr ist die Zeitdilatation nur ein Scheineffekt, wodurch die Theorie widerlegt ist. Damit die Relativitätstheorie gültig bleibt, muss die bewegte Uhr wirklich nachgehen.

Bei logischer Betrachtung ist der langsamere Gang der bewegten Uhr nur ein Scheineffekt, der auf Sinneseindrücken beruht. Ein wirklicher Effekt ist auch aufgrund der folgenden Überlegung ausgeschlossen. Nach dem Relativitätsprinzip kann die bewegte Uhr als ruhend und die ruhende Uhr als bewegt betrachtet werden, die relativistischen Effekte sind daher reziproke (wechselseitige) Effekte. Es ist aber logisch und tatsächlich ausgeschlossen, dass von zwei Uhren jede gegenüber der anderen nachgeht (Paul Langevin, 1911). Um die Relativitätstheorie vor dieser einfachen Widerlegung wenigstens scheinbar zu retten, wurde der Begriff "Uhrenparadoxon" erfunden. Es gibt dutzende von  unterschiedlichen Erklärungsversuchen seit Einstein bis zur Gegenwart, aber es gibt es bis heute keine einheitliche Erklärung für das angebliche Paradoxon, das in Wirklichkeit die paradoxe Konsequenz aus einer unlogischen Theorie und damit deren Widerlegung ist.

Auf die Frage, wie Einstein zu seiner unlogischen Schlussfolgerung gelangt, gibt es mehrere denkbare Antworten. Entweder hätte er schlicht übersehen, das die Relativitätseffekte reziprok gelten. Vielleicht war es auch Wunschdenken, warum Einstein das ruhende System (die ruhende Uhr) verabsolutierte, weil er ahnte oder wusste, dass seine ganze Theorie logisch zusammenfällt, wenn die Zeitdilatation nur ein Scheineffekt ist. Vereinzelt stößt man auch auf die Meinung, dass der Autist Einstein (auch wohlwollende neuere Biographien bescheinigen ihm das Asperger-Syndrom) ein gestörtes Verhältnis zur Realität hatte. Doch ich meine, man kann solche Vermutungen ausschließen. Einstein hat sich zwar nicht im Text der Relativitätstheorie, jedoch in überlieferten Gesprächen, ausdrücklich auf die Erkenntnistheorie von Ernst Mach bezogen.

Damit kommt wieder die Philosophie ins Spiel. Nach Lage der Dinge hat Einstein die heute als obsolet (veraltet) geltende sensualistische Erkenntnistheorie von Ernst Mach konsequent in die Relativitätstheorie übernommen: Was wir beobachten (bzw. sehen), ist unsere einzige Wirklichkeit. Also geht die bewegte Uhr nicht scheinbar, sondern wirklich langsamer. Aus einer allgemeinen philosophischen Maxime von zweifelhaftem Aussagewert macht Einstein auf diese Weise ein physikalisches Prinzip. Ernst Mach kam aufgrund seiner sensualistischen Philosophie zu der radikalen Forderung, die Wissenschaft habe sich auf die Beschreibung von Sinneseindrücken zu beschränken. Dies ist der Grund, warum Einsteins Beobachter in allen Gedankenexperimenten die Welt so beurteilen, als ob sie Automaten ohne Verstand wären. Sie registrieren Lichtimpulse, beurteilen Gleichzeitigkeit nach dem Eintreffen von Lichtimpulsen am Auge des Beobachters (bzw. am Photosensor des Automaten), wissen aber sonst nichts über die Welt. Vor allem wissen sie nichts über die Lichtlaufzeit, die jeder verständige Mensch in die Beurteilung einbeziehen würde, ob zwei Ereignisse gleichzeitig sind. Auf diese subjektivistische Sichtweise beruft sich die heutige Physik, wenn sie von ihrem Weltbild spricht. Der Philosoph Karl Popper (der kein erklärter Kritiker der Relativitätstheorie war), spricht in seiner Autobiografie in diesem Zusammenhang vom Einbruch des Subjektivismus in die Physik..


(4) Das Relativitätsprinzip

In der Tat sind Bewegung und Geschwindigkeit stets relativ, weil Bewegung und Geschwindigkeit eines Systems nur in Bezug auf ein anderes System festgestellt und gemessen werden kann. Der auf der Erdoberfläche lebende Beobachter wird in der Regel die Erdoberfläche als Bezugssystem wählen und deshalb Richtung und Geschwindigkeit von Fahrzeugen relativ zur Erdoberfläche angeben. Gäbe es einen absoluten Raum, so hätten wir die Wahl, diesen als Bezugssystem für Bewegung und Geschwindigkeit zu wählen - was für die Alltagspraxis auf unserer Erde allerdings recht umständlich wäre. Denn die Erde bewegt sich um die Sonne, die Sonne bewegt sich um den Mittelpunkt unserer Galaxie, die Galaxien bewegen sich ebenfalls. Immerhin wurde in den letzten Jahrzehnten durch mehrere Experimente an Hand der kosmischen Hintergrundstrahlung eine Absolutgeschwindigkeit der Erde annäherungsweise bestimmt. Ob man daraus auf ein absolutes Bezugssysstem schließen kann, hängt m. E. in erster Linie von der kosmologischen Überlegung ab, ob in einem nach allen Richtungen  expandierenden Universum ein ruhendes Zentrum auszumachen ist. Doch die Astronomen sagen, dass unsere Milchstraße und die Nachbargalaxie Andromeda sich aufeinander zu bewegen und sich in 2 Milliarden Jahren gegenseitig durchdringen werden. Das ist ein Indiz gegen die Theorie eines seit dem behaupteten Urknall gleichmäßig expandierenden Universums.

Bisher wurde kein absolutes Bezugssystem nachgewiesen, also gilt das Relativitätsprinzip, wenn es um die kinetische Beschreibung von Bewegung und Geschwindigkeit geht. Die logische Ungereimtheit beginnt erst mit der Hypothese der invarianten Lichtgeschwindigkeit, welche Einstein für seine Berechnung zu Grunde legt,  "indem man durch Gleichungen ausdrückt, dass sich das Licht (wie das Prinzip der Konstanz der Lichtgeschwindigkeit in Verbindung mit dem Relativitätsprinzip verlangt) auch im bewegten System gemessen mit der Geschwindigkeit V fortpflanzt." (Seite 899 in der Zeitschrift "Annalen der Physik", Jahrgang 1905).

Im Klartext: Einsteins Rechengang setzt voraus, dass jeder Beobachter die Lichtgeschwindigkeit mit dem selben Wert c messen soll, gleich ob er sich auf das Licht (bzw. die Lichtquelle) zu bewegt oder sich von ihm entfernt. Im vorausgehenden  § 2 gilt dies noch nicht, wodurch der unbefangene Leser völlig ratlos bleibt. Dort demonstriert Einstein am Gedankenexperiment mit dem bewegten Stab, dass die Lichtlaufzeit zwischen den Enden des Stabes A und B für den Hin- und Rückweg unterschiedlich ist, woraus er die Relativität von Gleichzeitigkeit folgert. Doch werden auch in § 3 das erweiterte Relativitätsprinzip und das Prinzip der konstanten Lichtgeschwindigkeit nicht logisch miteinander verbunden. Dies ist gar nicht möglich, weil beide Prinzipien in absolutem Widerspruch zueinander stehen. Wenn man genau hinsieht, so erkennt man: bei Einstein gilt für den bewegten Beobachter das erweiterte Relativitätsprinzip, wie es zu Beginn auf Seite 891 Absatz 2 beschrieben wird, für den ruhenden Beobachter gilt das Prinzip der konstanten Lichtgeschwindigkeit (im Sinne von Seite 892 oben). Weil sich für die beiden Beobachter das Licht nach unterschiedlichen Prinzipien ausbreitet, sehen sie einen von A ausgehenden Lichtimpuls in Punkt B des bewegten Systems zu unterschiedlichen Zeiten eintreffen.

5) Ein einfaches logisches Argument:
Einstein postuliert als Grundlage seiner Theorie, dass sich das Licht in jedem gleichmäßig-geradlinig bewegten System (auch Inertialystem genannt) mit der Geschwindigkeit c ausbreitet. Dieses Licht soll "vom ruhenden System aus betrachtet" die Geschwindigkeit V¯c² - v² haben. Ich meine, dass V¯c² + v² mathematisch korrekt wäre. Aber gleich ob V¯c² - v² oder V¯c² + v², es gibt nur eine physikalische Wirklichkeit. Letztere lautet gemäß Einstein, dass im bewegten System die Lichtgeschwindigkeit c beträgt. Jeder andere Wert, gleich ob V¯c² - v² oder V¯c² + v² ist folglich ein Scheineffekt, wodurch sich die spezielle Relativitätstheorie von selber erledigt.

(6) Noch eine Anmerkung zur allgemeinen Relativitätstheorie. Falls Atomuhren im Beschleunigungszustand und in Schwerefeldern langsamer gehen, so bedeutet dies nicht, dass die Zeit langsamer verläuft,  sondern dass wir Atomuhren nicht wechselnder Beschleunigung und Schwerkraft aussetzen sollten, wenn wir genau messen wollen. So wie wir mechanische Uhren zum Beispiel nicht wechselnder Temperatur aussetzen sollten, um möglichst exakt zu messen. Die Gleichsetzung des Zeitverlaufs mit dem Gang von Uhren übernimmt Einstein aus der speziellen Relativitätstheorie.


(7)  Die pauschale Behauptung, dass die Kritiker der Relativitätstheorie die Gedanken Einsteins und /oder seine Mathematik nicht verstanden hätten, stützt sich u.a. auf folgenden verwirrenden Umstand. In § 2 des Urtextes definiert Einstein die Relativität von Gleichzeitigkeit an Hand unterschiedlicher Lichtlaufzeiten zwischen Uhren und Beobachtern. In § 3, dem mathematischen Teil, schafft Einstein die Beobachter ab. Statt dessen versucht er zu zeigen, dass die Zeit in zwei parallel gegeneinander bewegten Koordinatensystemen nach Maßgabe des Lorentzfaktors unterschiedlich verläuft. Wer also die auf Beobachter und Lichtlaufzeiten gestützte Definition der Gleichzeitigkeit als obsolet  entlarvt, dem wird entgegengehalten, dass es in der Relativitätstheorie gar keine Beobachter gibt. Die Zeitverschiebung sei ein beobachter-unabhängiger mathematischer Effekt. Doch dies ist nicht der Fall, siehe meinen Artikel "Beobachter oder Koordinatensysteme?"

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Nachträge von 2015:

"Der in der Relativierung von Raum und Zeit enthaltene Widerspruch besteht in dem Satz, dass Raum und Zeit vom Bewegungszustand des Beobachters abhängig seien. Nun ist es aber ohne Zweifel die Bewegung, die ihrerseits Raum und Zeit voraussetzt." (F. Lipsius 1927)

"Die Physik bewegt sich in Raum und Zeit und Bewegung. Was Bewegung, was Raum, was Zeit ist, kann die Wissenschaft als Wissenschaft nicht entscheiden. Die Wissenschaft denkt also nicht; sie kann in diesem Sinne mit ihren Methoden gar nicht denken." (Martin Heidegger 1970) -  (Dass philosophisches Denken und Denken im wissenschaftlichen Sinn nicht dasselbe ist, war Heidegger sicher bewusst, nicht aber den Physikern. Das Missverständnis wurde nicht geklärt, sodass die Empörung der Physiker blieb. Dagegen blieb Heidegger die Befriedigung, einen Seitenhieb gegen eine Physik geführt zu haben, die zu wissen glaubte, was Raum und Zeit sind).

"Entgegen Einsteins Anschauung kann man nicht bezweifeln, dass in diesem Augenblick, wo irgendetwas auf der Erde geschieht, auch vieles in anderen entfernten und bewegten Systemen geschieht. Dass wir es nicht instantan messen können oder überhaupt kein Signal davon erhalten, ändert nichts an seiner Gleichzeitigkeit." (Friedrich Dessauer 1958)

3 Kommentare:

  1. Guter Ansatz, Einstein zu "relativieren"!
    Und mutig, weil man gleich als WInzling hingestellt wird, wenn man etwas gegen Albert Einstein kritisch sagt.
    Weiterführende Erklärungen auch zu finden in den wellentheoretischen Arbeiten von Karl Uller (www.karl-uller.de)

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  2. was passiert, wenn ich mich mit v oder c bewege und einen Lichtstrahl in die entgegengesetzte Richtung meiner Bewegung sende? Welche Geschwindigkeit hat der dann??

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  3. Wenn ich an die Quantenverschränkung denke und daran, daß zwei Teilchen synchron reagieren, obwohl keine materielle Verbindung zwischen ihnen existiert, und zwar instantan, was bleibt dann für ein Schluss? Es muß eine nichtmaterielle Verbindung zwischen beiden geben. Ich stelle mir ein potentielles Informationsnetz vor, welches bei Verschränkung wirksam wird, also, wie man so schön sagt, die Welle kollabieren läßt. Ich würde mir wünschen, daß die klassische Physik sich einer solchen nichtmateriellen Welt / Dimension öffnet. Es würden sich die meisten derzeitigen Probleme fast von selber lösen und wir bräuchten keine Relativitätstherie in dieser Form.

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