Ungeachtet aller logischen, physikalischen und mathematischen Kritikpunkte bestehen grundlegende philosophische Einwendungen gegen die Relativitätstheorie. Einstein hat sich bei Immanuel Kant posthum dafür entschuldigt, die Lehre des großen Philosophen über Raum und Zeit widerlegt zu haben. Kant konnte sich dazu nicht äußern, hat sich aber vermutlich im Grab umgedreht. In der Tradition von Kant stehende Philosophen haben die Relativitätstheorie seit jeher abgelehnt, weil Raum und Zeit als angeborene Formen des Denkens und Erkennens weder relativ sein können, noch durch die Naturwissenschaft beliebig definiert werden können.
Wie konnte dieser Dissens entstehen? Die Physik als Naturwissenschaft, deren wesentliche Gegenstände Materie und Energie sind, wusste nichts mit apriorischen Denkkategorien anzufangen, die nach Kants idealistischer Philosophie lediglich im Verstand existieren, aber keinen erkennbaren Bezug zur realen Außenwelt hatten. Auch Newtons absolute Zeit schien um 1900 widerlegt, weil die damals vom philosophischen Positivismus des 19. Jahrhunderts geprägte Physik nur gelten ließ, was man beobachten und messen kann. Ernst Mach, führender Physiktheoretiker und Vorbild des jungen Einstein, forderte konsequent nicht nur die Abschaffung der absoluten Zeit, sondern auch des Atoms, weil man es mit damaligen technischen Mitteln nicht beobachten konnte.
Doch das war vor 120 Jahren. In der Mitte des 20. Jahrhunderts entstand die evolutionäre Erkenntnistheorie. Eine ihre Grundüberlegungen bestand darin, dass auch die Entwicklung des menschlichen Verstandes durch die Umwelt geprägt wurde. *) Auf dieser Basis lässt sich plausibel und nachvollziehbar begründen, dass Kants apriorische Denkkategorien nicht losgelöst von der Wirklichkeit entstanden sind, sondern äußere, reale Ursachen haben. Raum und Zeit sind Ordnungs- und Maßsysteme, mit denen wir uns besser in der Welt orientieren können.
Damit stellt sich die Frage, welchen Sinn gleitende Maßeinheiten haben, die Einstein eingeführt hat, nur um die Lichtgeschwindigkeit unter allen Umständen konstant zu halten. **) Bis heute wertet die Physik die einschlägigen Berechnungen Einsteins als mathematischen Beweis für die relative Zeit. Bis heute behandelt die Physik Raum und Zeit, als ob sie physikalische Dinge wären, die in rätselhaften Wechselwirkungen mit der Materie stehen (Krümmung der Raumzeit durch die Gravitation). Und bis heute glauben viele Physiker, dass Zeit durch Uhren generiert wird (Einstein: "Zeit ist das, was wir von der Uhr ablesen"). Und das, obwohl es außerhalb des Verstandes nichts gibt, was man als Zeit bezeichnen könnte.
*) Konrad Lorenz: Kants Lehre vom Apriorischen im Lichte gegenwärtiger Biologie, 1941
**) Oskar Kraus: Offene Briefe an Albert Einstein und Max von Laue, Wien 1925
Louis Essen: The Special Theory of Relativity. A Critical Analysis, Oxford 1971
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